Am 3. Dezember 2019 besuchte ich ein Künstlergespräch des britischen Konzeptkünstlers und Turner-Preis-Gewinners Simon Starling im Aargauer Kunsthaus. Anlässlich der Ausstellung Maske, die Simon Starlings Werk „Project for a Masquerade (Hiroshima)“ präsentiert, sprach er über seine aktuelle Arbeit und sein künstlerisches Schaffen.
Das Werk: Japanische Sage trifft auf Henry-Moore-Skulptur
Das “Project of a Masquerade (Hiroshima)“ setzt sich aus zwei Elementen zusammen: dem Mirror Room, einem Spiegelraum mit 8 Masken und 1 Hut, die in einen Spiegel schauen und einer Videoinstallation. Das Werk ist ein Vorschlag für eine Theaterstückaufführung, die eine uralte japanische Erzählung über Eboshi-ori adaptiert. Erzählt wird die Geschichte eines jungen Adligen, der sich verkleidet, um vor seiner unruhigen Vergangenheit zu fliehen. Starlings Projekt greift nicht nur die traditionelle japanische Sage auf, sondern verschmilzt auch die Entstehungsgeschichte der Skulptur “Nuclear Energy” des Britischen Bildhauers Henry Moore.

Die hier präsentierten Masken wurden in Zusammenarbeit mit dem Nō-Maskenhersteller Yasuo Miichi hergestellt. Sie sind Teil des ursprünlichen Nō-Theaterstücks über Eboshi-ori. Die in die Spiegel starrenden Masken zeigen unterschiedliche Charaktere wie James Bond, Anthony Blunt, Colonel Sanders oder Joseph Hirschhorn. Dieses Ensemble ist durch ein Netz verbunden, wobei alle Verbindungen zur Moores Skulptur ”Nuclear Energy” und dessen Alter Ego, dem Werk “Atom Piece” führen. Moores künstlerisches Schaffen ist in vielerlei Hinsicht eine Inspiration für Simon Starling, nicht nur in diesem Werk.
Das parallel in einen dunklen Raum projizierte Video dokumentiert die Herstellung der Masken und wird mit wundervollen japanischen Klängen kombiniert, die “weiter leben” in die Installation und zu deren “Hauptdarstellern” rufen. Auch präsentiert das Video Verknüpfungen zwischen scheinbar unterschiedlichen Geschichten und Hintergründen der Cast-Mitglieder: Die Schnittpunkte zwischen Macht, Politik, wirtschaftlichen Interessen und Kunst vor dem Hintergrund des abstrakten Kalten Krieges hinterfragen kritisch das Naturverständnis. Moores Werk dient Starling zur weiteren Neuinterpretation und auch tiefsinniger Auslegung der Begriffe “Lüge“ und „Täuschung”; Bezüge zur aktuellen Politik, zu den sozialen Medien und dem gegenwärtigen Wirtschaftsgeschehen lassen sich leicht herstellen.
Eine Neupräsentation in der Schweiz?
Besonders reizvoll ist die “Neupräsentation” im Aargauer Kunsthaus als Teil der zurzeit stattfindenden Ausstellung rund um das Thema Maske. Das Werk wurde zuerst 2010 im „The Modern Institute“ Glasgow in einem weissen Raum gezeigt – das Aargauer Kunsthaus setzt auf eine Präsentation in einem schwarzen Ort. Die Dunkelheit in Kombination mit japanischen Klängen und der Videoinstallation führt zu einem noch intensiveren Empfinden des Nō-Theaters. Wie in einem Ankleidezimmer fühlen sich die Betrachtenden, als ob sie an einem anderen Ort sind und dabei das Zeitgefühl verlieren.
“Wir leben in einer Zeit, in der Donald Trump ein Bild von sich selbst als Rocky auf Twitter postet. Wir leben zuweilen in einer bizarren Welt. Ich denke, eine der Möglichkeiten, die Künstler haben, besteht darin, dies zu offenbaren und zu tieferen Einsichten vorzudringen und die “Maske“ abzunehmen.”
-Simon Starling, Dezember 2019
Dabei wirft dieses Werk viele Fragen auf und fördert gleichzeitig intensives Denken, Begutachtung und Interaktion, was bei Kunstinstallationen eher selten vorkommt. Tragen wir alle Masken, je nachdem, in welcher Umgebung wir uns befinden? Was ist unsere Identität, werden wir zu dem, was die Maske projiziert? Wie kann sich ein Künstler zwischen seiner Kunst und der Beziehung zu mächtigen Menschen und im Geldadel balancieren? Wie kann sich ein Künstler in wichtige soziale und politische Themen wie den Kalten Krieg, die Atomenergie und den Naturschutz einmischen und welche Rolle kann er hier einnehmen? Wie kann ein Künstler Aktivismus und Kunst verbinden? Wie recherchiert ein Künstler? Wie stellt er ungewöhnliche Verbindungen auch zu alten Werken und Meistern oder zu noch lebenden Künstlern her? Starling verweist diesbezüglich auch auf seine bis zum 11. Januar 2020 in Turin (Galleria Franco Nerro) stattfindende Ausstellung mit dem Titel “A-A, B-B”. Das “Project for a Masquerade” ist nicht nur charakteristisch für Simon Starlings Werk und seine Arbeitsweise in der konzeptionellen Kunst, sondern zeigt auch, wie weit Kunst gehen kann: ob durch Verbindung zu anderen Disziplinen wie Theater, Musik oder Maskenbildnerei oder durch eine ausgezeichnete Kuratierung, Präsentation und Platzierung in einer Gruppenausstellung wie bei der MASKE.
Tragen wir alle eine Maske? Die Top-Zitate Simon Starlings im Künstlergespräch mit Madeleine Schuppli, Direktorin Aargauer Kunsthaus:
“Ein Theater in einem Theater in einem Theater.”
“Die Funktion der sozialen Medien und der Identitätspolitik: Der Bezug dieser zu Project for a Masquerade ergibt zurzeit sehr viel Sinn, mein Interesse an ihnen prägt mein künstlerisches Schaffen.”
“Als wir das Stück gemacht haben, entschieden wir uns, keine Masken von uns selbst zu machen, was natürlich eine Versuchung war. Am Ende waren die Schauspieler unsere Masken, dies war wahrscheinlich der intelligenteste Weg, dies zu tun.”
“Wenn ein Künstler sein Werk im Rahmen eines Vortrags vorstellt, ist das immer eine Art “Maskerade”, bei der der Künstler immer ein bestimmtes Bild einer bestimmten Erzählung präsentiert, was er, sie tut. Ich versuche immer, ein anderes Künstlergespräch zu führen, daher ist es jedes Mal ein anderes „Ich“.”
“Wir leben in einer Zeit, in der Donald Trump ein Bild von sich selbst als Rocky auf Twitter postet. Wir leben zuweilen in einer bizarren Welt. Ich denke, eine der Möglichkeiten, die Künstler haben, besteht darin, dies zu offenbaren und zu tieferen Einsichten vorzudringen und die “Maske“ abzunehmen.”
“Eines der interessanten Dinge am Nō-Theater ist die Idee, zu versuchen, sich auch von der zeitgenössischen Vorstellung von Zeit zu lösen, in der Lage zu sein, sich durch die Zeit auf eine reibungslose Art und Weise zu drücken und zu ziehen, wie dies auf einer No-Bühne der Fall ist.”
“Insbesondere japanische Handwerker haben im Gegensatz zu westlichen eine andere Geschwindigkeit und ein anderes Zeitgefühl bei der Herstellung von Masken. Das ist eine Art Befreiung, mit Menschen wie diesen zusammen zu sein und mit ihnen zu denken.”
“ Project of a Masquerade hat nicht das Ziel, auf einer Bühne präsentiert zu werden. Es geht vielmehr darum, beide, das Video und die Spiegelmasken, für eine Weile nebeneinander bestehen zu lassen.”
“Ich versuche, Filme mit so wenig Menschen wie möglich zu machen, um Dinge zu verändern, umzudenken und umzuschreiben, bis zum allerletzten Moment. Ein normales Team besteht aus bis zu vier Personen. Wenn es mehr sind, fühle ich mich unwohl.”
“Der Film “Project for a Masquerade” ist sehr dicht, es gibt viele Ebenen und Überraschungen.”
Infos
Simon Starlings „Project for a Masquerade (Hiroshima)” (2010–2011) ist Teil der Ausstellung MASKE in der „Kunst der Gegenwart“ im Aargauer Kunsthaus.
1.9.2019 – 5.1.2020
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